free templates joomla
Zu Gisevius im Allgemeinen: Archiv für Zeitgeschichte, ETH-Zürich, Nachlass Gisevius; die spannende Geschichte dieses Nachlasses zeichnete Prof. Dr. Klaus Urner auf meine Bitte in einem nachträglichen Bericht vom 23. 11.2005 auf, aus dem ich zitiere:
"Im Zusammenhang mit dem Aufbau des Archivs für Zeitgeschichte, dessen Anfänge in den Herbst 1966 zurückreichen, versuchte ich während eines Studienaufenthaltes 1969 an der Freien Universität Berlin, Hans Bernd Gisevius ausfindig zu machen. Dieser war auch für die Schweiz ein höchst interessanter, allerdings nicht unumstrittener Zeitzeuge. Ich wollte ihn zu seinen Aktivitäten während des Zweiten Weltkrieges als Abwehrbeauftragter am Deutschen Generalkonsulat in Zürich befragen, auch auch zu seiner Widerstandstätigkeit, insbesondere zu seinen Verbindungen Allen W. Dulles in Bern. Ich habe dann am Breitenbachplatz 18 in Berlin Dahlem – meiner Erinnerung nach wohl halb im Sou-sol – eine verschlossene Tür mit seinem Namen vorgefunden – eine bescheidene Absteige für seine gelegentlichen Berlin-Aufenthalte, die den Eindruck erweckte, dass er hier nicht auffallen wollte. Ich erfuhr dann, dass er in der Schweiz am Genfersee leben soll und schon lange nicht mehr in seinem Berliner Appartement gesehen worden sei. Nachträglich zeigte sich, dass er dieses Berliner Domizil schon in den fünziger Jahren benutzt hatte. Im Zusammenhang mit den Recherchen zu meinem Buch 'Der Schweizer Hitler-Attentäter. Drei Studien zum Widerstand und seinen Grenzbereichen', Verlag Huber Frauenfeld/Stuttgart 1980, interessierte ich mich erneut für den Verbleib von Gisevius. (...) Gisevius starb am 23.2.1974 auf einer Reise überraschend in Müllheim (Baden). Ich habe ihn also nicht mehr persönlich kennen gelernt. Er hatte schon 1945 in Commugny s/ Coppet Wohnung genommen. Nach seiner Heirat wohnte er mit seiner Frau Gerda Gisevius-Woog, geb. Brugsch, in 1806 St.-Légier, Au Praz Jordan A. Nach dem Tod ihres Mannes ist Frau Gisevius noch im gleichen Jahr nach 1095 Lutry, an die Taillepied 11 umgezogen, wo in inmittelbarer Nähe auch ihr Sohn aus erster Ehe, Thomas Woog, wohnte. Frau Gisevius, auf die ich wohl während meiner Befragungen von Zeitzeugen hingewiesen worden bin, habe ich am 30. Juni 1979 im Zusammenhang mit meinem Forschungsprojekt in Lutry besucht. Bei dieser Gelegenheit konnte ich sie auch über das Archiv für Zeitgeschichte informieren und ihr empfehlen, sie an das AfZ zu wenden, sollte sie für den Nachlass ihres Mannes gelegentlich einen Aufbewahrungsort suchen. In den folgenden Jahren blieben wir in brieflichem Kontakt. Gewisse politische Entwicklungen in Deutschland und insbesondere diejenigen in Bayern unter Franz Josef Strauss verfolgte sie mit großer Sorge. Alarmiert hatte sie unter anderem auch der Fall des CSU-Bürgermeisters Heinrichsohn, der trotz seiner SS-Verbrechen in seinem Amt verblieb. Sie befürchtete, die Tendenzen zur Vergangenheitsverdrängung könnten sich in Deutschland auch im Archivbereich auswirken. So schrieb sie mir am 28.12.1979 u.a.: 'Auch im Münchner Institut für Zeitgeschichte macht sich für aufmerksame Beobachter der Ruck zu Strauss hin bereits bemerkbar'. Ob richtig oder falsch – jedenfalls stand sie den diversen Anfragen deutscher Archive skeptisch gegenüber. So schreibt sie im Brief vom 15.4.1983: 'Die neue Entwicklung in der BRD geht folgerichtig weiter: vor 2 Tagen hat die reaktionäre Holtzbrinck-Gruppe den Rowohltverlag geschluckt. Lieder ohne Worte.' Da Hans Bernd Gisevius nach Kriegsende in Deutschland stark angefeindet wurde, war die Familie besonders sensibilisiert. Frau Gisevius und Herr Thomas Woog bevorzugten eine Lösung, welche die Archivierung des Nachlasses in der Schweiz ermöglichte. Offenbar ist der Nachlass weitgehend intakt überliefert worden. Jedenfalls schrieb mir Frau Gisevius am 2. Dez. 1981: 'Die Schwierigkeiten liegen für mich in den Bergen von Papier, die Sie gar nicht interessieren (Familienbriefe, etc.). Als mein Mann seinerzeit so überraschend starb, habe nicht ich die Sachen verpackt vor dem Umzug. Das alles lag nun 9 Jahre in Kisten und Schränken ungeöffnet.' Frau Gisevius kam nicht mehr dazu, die Papiere eingehender zu sichten. Ich habe sie im Frühjahr 1983 noch einmal besucht und mit ihr auch Regelungen für eine vertragliche Vereinbarung besprochen. Frau Gerda Gisevius-Woog ist am 14.6.1983 gestorben. Das Problem war nun, dass die Wohnung sogleich geräumt werden musste, dass aber der Sohn keine Zeit für eine Sichtung der Papiere hatte. Das AfZ hat die Verlängerung der Wohnungsmiete um einen Monat übernommen, damit für die Sichtung genügend Zeit blieb, um die Sicherung des Nachlasses in geordneter Weise vornehmen zu können. Ich fand die Wohnung im Chaos der Papiere so vor, wie sie von Frau Gisevius verlassen worden war. Am 27. Juli 1983 erfolgte dann die Übernahme des Nachlasses zu Handen des Archivs für Zeitgeschichte. Der Nachlass enthält reichhaltige Materialien aus der Nachkriegszeit. Die Untergrund- und Widerstandstätigkeit von Gisevius, aber auch seine Aufenthalts- und Wohnverhältnisse waren wenig dazu angetan, während des Krieges Unterlagen aufzubewahren, die ihm zum Verhängnis werden konnten. Im Nachlass sind nur wenige Materialien aus dieser Zeit erhalten geblieben. Ob und welche Akten er vernichtet hat oder ob von ihm solche aus Vorsicht privat erst gar nicht angelegt worden sind, lässt sich kaum verifizieren – wahrscheinlich trifft eine Kombination von beidem zu. Die Erschließung des Nachlasses erfolgte schrittweise durch Frau D. Marie Claire Däniker und konnte 1993 vollendet werden. Herr Thomas Woog, Architekt und Fotograf, ist 1998 gestorben. Zürich, 23.11.2005, Klaus Urner."
 
Gisevius hatte blaue Augen: Archiv für Zeitgeschichte (ETH Zürich); freundliche Auskunft der wissenschaftliche Mitarbeiterin Ildikó Kovács vom 3. Juli 2009: „Tatsächlich bin ich im diplomatischen Pass von Hans Bernd Gisevius fündig geworden: Seine Augen waren blau (in: Nachlass Hans Bernd Gisevius, Dossier 3.2.).“
 
Zu den Kontakten von Gisevius mit den Briten: Vgl. CIA (ed.), The Rote Kapelle, Washington D.C. 1979, 223: "Hans Bernd Gisevius (...) supplied the British with intelligence for three and a half years before de war and during its initial phase. The he became a major OSS contact." (OSS: Office of Strategic Services; US-Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg); Nigel West ("A Thread of Deceit. Espionage Myths of World War II", New York 1985, S. 65) gibt an, die Zusammenarbeit habe erst im Februar 1940 über Halina Szymanska begonnen; das ist insofern nicht falsch, als die Verbindung damals indirekt neu geknüpft wurde; Gisevius war da aber nur Verbindungsmann zwischen Canaris und Halina Szymanska; diesen Sachverhalt beschreibt Nigel West ausführlich in "MI6. British Secret Intelligence Service Operations 1909-45", London 1983; John H. Waller ("The Unseen War", New York 1996, S. 305) betont aber richtig, dass es eine ältere direkte Verbindung zwischen Gisevius und den Briten gab (seit Anfang 1939 war Gisevius im Kontakt mit Claude Dansey, vermutlich über den SIS-Verantwortlichen in Bern, Frederick Vanden Heuvel; ebena S. 92) und durch die Venlo-Affäre (siehe weiter hinten) im November 1939 einen empfindlichen Schlag erhielt und unterbrochen wurde, bis sie indirekt, über Allen Dulles, den Vertreter des amerikanischen Geheimdienstes in Bern, Ende 1942/Anfang 1943 wieder in Gang kam.
 
Zur Argumentation von Gisevius (über Hitler, Goebbels etc.): Zusammenstellung aus dem ursprünglichen einleitenden Kapitel des Manuskritpts "Bis zum bittern Ende"/ "To the Bitter End" von Hans Bernd Gisevius. Er gab ihm den Titel "Rückschau". Mary Bancroft, die Übersetzerin von Hans Bernd Gisevius, überschrieb es mit "Revolution". Gisevius hatte es 1942 bereits vorliegen, nahm es dann aber nicht ins Buch auf (bis auf wenige Stellen halte ich den Text auch für wenig überzeugend, stellenweise sogar bedenklich oberflächlich; deshalb nahm ich mir große Freiheiten bei der kurzen Montage; zitiert nach der englischen Übersetzung im Nachlass von Mary Bancroft, Harvard University, Radcliffe Institute for Advanced Studies, Schlesinger Library, Mary Bancroft Papers, MC 454, Box 4, 86 pages): Scheussliche Dinge, die er sah, Verkümmerung der elementaren Begriffe des Rechts etc. (p. 33f); blinder Hass (p. 47); Lügen, an die sie selber glauben, Streit mit Goebbels, dass dieser glaubte, was er sage, Umlügen einer weißen Tischdecke (p. 54f: [über Goebbels] "I do not inquire how one can be so carried away with pious and noble feelings and yet at the same time can swindle in so cold-blooded a fashion, but I wonder if in the end, improbably as it seems, the revolutionists don't themeselves come to believe in their own nonsense. I was made aware of this theory, so as to speak, by Goebbels himself, when I, after a long and not completely friendly argument with him, had to somewhat revise my judgment of his character. until then I had taken the usual attitude towards him. I had simply considered him dishonest. Suddenly I came to the astonishing conclusion, that this man believes – at least sometimes – what he says. I was convincedt hat Goebbels can in all sincerity swear, as he is sitting at a dinner [p. 55] table covered with a white cloth, that the table-cloth is blue with yellow dots." Weiter: Bindungen an Hitler, die jede Art von Gewalt unnötig machen (p. 24); Massenberauschung (p. 21); Hitler und die Halluzination (p. 51: "No doubt, he brings by means of his racial teachings, the Germans gradually into a state of hallucination that they are the masters of the world(...)."); Widerspruch auf Widerspruch (p. 2: "It is of cours utterly illogical, just as it is utterly illogical that a collective mass held together by sheer terror is at the same time so helplessly split up by denuciations, hypocrisy and spies. Contradiction follows upon contradiction and we wonder how we were so intimidated and stultified [verkümmert] as to allow our honor to be soiled by brutes and madmen."); Kern seines Denkens passt in ein schmales Notizbuch (p. 52: "I realize that many people will have a different opinion about Hitler's passion for talking. I will be told that although his speeches could fill a whole library as far as volume is concerned, the actual core of his thought could be put into a small notebook. Certain stereotyped phrases from his speeches became proverbial in Germany because of their deadly banality. One could simply no longer hear them. Who did not sigh and glace at his watch when that famous 'For fourteen years' began and who did not give a lightening wink to his friends when the flow of speech reached that emotionally pronounced 'Providence' [Vorsehung]."); Meister der selbstberauschenden Gefühle (p. 72: Moreover as far as Adolf Hitler himself, that master of self-intoxicating emotions, was concerned no one who writes a history of the Third Reich can dispute the fact that he did not, before and even after his decisions, vacillate to and fro [hin und her] in an almost unbearable fashion."); Hitler wegnehmen, dann fällt alles zusammen (p. 82: "Take away Hitler, possibly also a Göring, and all the others weigh out as typical revolutionary stock products, no matter how heavily their presence at one thime may have pressed down over Germany." p. 84: "No, the incomprehensible abundance of insolent an audacious figures that appear unexpectedly is really what is revolutionary, this extraordinary collection of peculiar characters who are only able to live on the irresistable impulse to adventure and who sink back into a world of ghosts as soon as quiet and order return again to a deathly tired world.").
 
Gisevius bis 1933 auf dem "rechtsradikalen Flügel" der Deutschnationalen Volkspartei", sein Eintreten für ein Zusammengehen mit den Nationalsozialisten: Im Schweizerisches Bundesarchiv, E 4320 (B) 1990/133; Bd. 8 (Bundesanwaltschaftsdossier Hans Bernd Gisevius, C.12.3120) befindet sich ein Mäppchen "Charakteristika über Dr. Gisevius" mit der Abschrift der undatierten Stellungnahme von "Rechtsanwalt Forschbach", die höchstwahrscheinlich aus dem Jahr 1947 stammt. Dieser Edmund Forschbach, Rechtsanwalt, veröffentlichte viele Jahre später das Buch "Edgar J. Jung. Ein konservativer Revolutionär" (Pfullingen 1984; weitere Angaben zu Forschbach finden sich im Institut für Zeitgeschichte, München; ich danke Hermann Weiß für die freundlichen Hinweise). Die Aussagen Edmund Forschbachs werden in einer zukünftigen Biografie von Gisevius helfen, den persönlichen Entwicklungsprozess gerad in den kritischen Jahren 1932/33 schärfer zu fassen:
"Ich lernte Gisevius im Jahre 1925 im Hochschulring kennen. Damals hatte er als junger Student dadurch Aufsehen erregt, dass er im 'Völkischen Beobachter' einen schweren Angriff gegen den Münchener Hochschulring richtete. Das Ergebnis dieses Angriffes war, dass er selbst [in?] die Leistung [?] des Hochschulringes kam. Die meisten der alten Hochschulringkameraden lehnten ihn instinktmässig ab, weil er bei allen Tagungen ein äusserst arrogantes Auftreten zeigte. Während die Jüngeren damals einen schweren Kampf mit der Altherrenschaft des Hochschulringes, der finanziell von Hugenberg abhängig war, führten, stellte sich Gisevius vorbehaltlos dieser Altherrenschaft zur Verfügung. Wenige Jahre darauf fand er ja auch seinen Weg zu Hugenberg selbst und war von 1929 ab stark für die Deutschnationale Partei agitatorisch tätig und zwar immer als extremer Vertreter des Hugenberg-Flügels (...).
Ich selbst bin ab 1930 auch wiederholt mit Gisevius zusammengekommen und konnte seine politische Einstellung genau beobachten. Er hat eigentlich immer auf dem rechtsradikalen Flügel der Deutschnationalen Volkspartei gestanden und forderte demgemäss in den internen Besprechungen der Deutschnationalen sowohl als auch in der Öffentlichkeit ein starkes und enges Zusammengehen mit den Nationalsozialisten. Ich entsinne mich z.B. ganz genau noch, dass er der einzige im Reichsparteivorstand war, der im Frühjahr 1932 offen und entschieden dafür eintrat, dass die Deutschnationalen Hitler bei seiner Reichspräsidentschafts-kandidatur unterstützen sollten. Er wollte also damals Hitler zum Reichspräsidenten wählen. Zur gleichen Zeit konnte man aber in privaten Gesprächen die gehässigen und abfälligen Bemerkungen über führende Nationalsozialisten von ihm hören. Er war über ihre moralischen Schwächen und ihre Unzulänglichkeiten von Anfang an, wie selten jemand in der damaligen Zeit orientiert. Es kann keine Rede davon sein, dass er sich dem Nationalsozialismus gegenüber, wie viele andere junge Menschen zwischen [19]30 -[19]34, einem Rausch von Hoffnung hingegeben hätte, weil anfangs die wahren Ziele und Absichten von ihm verkannt worden seien. Etwa von Mitte 1932 ab distanzierte er sich von Hugenberg. Der Grund dafür ist meines Erachtens darin zu erblicken, dass Hugenberg es wiederholt ablehnte, ihn bei den verschiedenen Wahlen an sicherer Stelle kandidatieren [kandidieren] zu lassen. Gisevius Ehrgeiz ging dahin, möglichst schnell ins Parlament zu kommen. Da er hierbei auf Schwierigkeiten bei Hugenberg stiess, versuchte er es immer wieder mit Hilfe des Stahlhelms, der ihn als seinen Kandidaten proklamierte, zu errreichen. (...) Trotzdem ist es ihm nie gelungen, Abgeordneter zu werden.
Bis zur sogenannten Machtergreifung hatte Gisevius sein Assessor-Examen noch nicht gemacht. Er war der ewige Referendar, der eigentlich keine andere Beschäftigung hatte, als in Vorzimmern von Generaldirektoren herumzulungern, in Clubs und Zirkeln zu schwätzen und abends einige nationalistische Reden zu halten. Im Frühjahr 1933 kamen dann durch die Nazis Bestimmungen heraus, nach denen Referendare unter erleichterten Bedingungen das Assessor-Examen ablegen konnten, wenn sie in der Republik Nachteile erlitten hatten. Gisevius war einer der ersten, die von dieser ihm durch die Nazis gebotene Gelegenheit das Assessor-Examen unter erleichterten Bedingungen abzulegen, Gebrauch machte. Ich bin der festen Überzeugung, dass Gisevius nie zum Assessorenexamen gekommen wäre, dafür ist er viel zu schlechter Jurist, wenn die Nazis es ihm nicht mit dieser Krücke möglich gemacht hätten." (Fortsetzung siehe weiter unten, bei der "Meldung im Völkischen Beobachter" und bei der Diskussion über die "Aufnahme-Erklärung")
 
Zur Rolle von Gisevius bei den Deutschnationalen: Der ehemalige Zentrumspolitiker und Reichskanzler Heinrich Brüning schrieb Allen Dulles in einem Brief vom 28. Mai 1946 wenig Positives über den Einfluss, den Gisevius auf die Deutschnationale Volkspartei nahm (Princeton University, Seeley G. Mudd Library, Allen Dulles Papers, Box 9, Folder 11; den ersten Hinweis auf diese Quelle verdanke ich Burton Hersh, Old Boys. The American Elite and the Origins of the CIA, New York, S. 99, Anm. 41; ich danke der Seeley G. Mudd Library für die Kopie). Anlass des Briefes war Das Buch "Bis zum bisttern Ende" (Zürich 1946) von Hans Bernd Gisevius. Brüning schrieb Dulles : "I have become more and more sceptical about Gisevius while reviewing in my mind all that he has said and written. I did not tell you that I watched him very carefully between 1931 und 1933. His influence on the Nationalist Party ['Deutschnationale Volkspartei'] and on Hugenberg was a disastrous one. Members of the Nationalist Party who wanted to sever all connections wiht the Nazis and to join my majority in the Reichstag on several occasions informed me that the fanaticism of Gisevius had prevailed over Hugenberg. The most important such occasion was on the day before the discussion of the enabling act ['Ermächtigungsgesetz' vom 24.3.1933, unter der Bezeichnung 'Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich'] in 1933. At a meeting which unfortunately did not remain secret, Hugenberg had agreed to introduce an amendment to the enabling act which I had drafted, and which would habe removed all danger from it. It was to be introduced between the first and third readings of the bill. It was not, because of a revolt in the Nationalist Party in which Gisevius was involved with a Dr. Stadler." Dr. Eduard Stadtler – so seine eigentliche Schreibweise – machte fünf Wochen später von sich reden, als der "Völkische Beobachter" schrieb (Norddeutsche Ausgabe, Berlin, 1. Juni 1933): "Übertritt Dr. Stadtlers zur N.S.D.A.P. Der deutschnationale Reichstagsabgeordnete Dr. Eduard Stadtler hat seinen Austritt aus der deutschnationalen Reichstagsfraktion (...) erklärt und in einem Schreiben an den Fraktionsführer der nationalsozialistischen Reichstagsfraktion (...) um Aufnahme in die nationalsozialistische Fraktion gebeten." Es kann keinen Zweifel geben, dass Gisevius auch noch in den ersten Monaten nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler (30. Januar 1933) an die Möglichkeit einer Instrumentalisierung der NSDAP für die Ziele der DNVP und von ihm selbst glaubte.
 
Ehrverletzungsprozess gegen Gisevius: vgl. u.a. Urteilsschrift in der Strafsache gegen den Gerichtsreferendar Dr. Hans Bernd Gisevius, 29. August 1931 (Bundesarchiv, Berlin, R 022/057360 fol., Strafverfahren wegen Beleidigung des Landrats Hausmann aus Hattingen); vgl. dazu auch Bundesarchiv R 022/057357 fol. 1, 057358 fol. 1 und 057359; weiteres Material über Gisevius wäre sicher auch in den umfangreichen Akten zum "Stahlhelm" im Staatsarchiv, Berlin zu finden (Bestand R 72). David Schoenbaum schreibt in seinem Werk "Die braune Revolution. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches" (Berlin 1999, S. 70): "Der Stahlhelm wurde von der SA aufgesogen und im Jahre 1935 schließlich ganz aufgelöst."
 
Aufruf von Gisevius, zitiert in der Niedersächsischen Tageszeitung, Hannover (Nr. 138, 16.6.1933): A. f. Zeitg., Zürich, Nachlass Gisevius, I 4.2.)
 
Meldung im "Völkischen Beobachter" (Norddeutsche Ausgabe, Berlin 11./12. Juni 1933): In der bereits erwähnten, undatierten, aber vermutlich aus dem Jahr 1947 stammenden, stellenweise ziemlich negativen Charakterisierung von Gisevius durch Edmund Forschbach (Schweizerisches Bundesarchiv, Bundesanwaltschaftsdossier Hans Bernd Gisevius, E 4320 (B) 1990/133, Bd. 8; Mäppchen "Charakteristika über Dr. Gisevius, H.B.") heißt es weiter: "Als die Deutschnationale Partei im Mai/Juni 1933 zerfiel, war Gisevius der erste, der zu Hitler überlief. Er hat nach meinem Dafürhalten über Grauert schon wochenlang vorher mit Nationalsozialisten konspiriert, um eine Aufnahme in die NSDAP zu erreichen. Der 'Völkische Beobachter' in der Berliner Ausgabe [müsste heißen: Norddeutsche Ausgabe, Berlin; eine eigene Berliner Ausgabe gab es erst im Verlauf des Kriegs] meldete auf grosser Schlagzeile Anfang oder Mitte Juni 1933, dass der Kampfringführer Gisevius zur NSDAP übergetreten sei. Ich habe dieses Exemplar lange verwahrt. Es ist mir aber dann auch leider in Breslau abhanden gekommen. Ich glaube allerdings, dass Gisevius an seinen Übertritt die zur NSDAP Hoffnungen geknüpft hatte, die nicht erfüllt wurden, denn in der NSDAP gab es Kreise, besonders um Goebbels, die ihn stark ablehnten. Deswegen wurden auch seiner formellen Übernahme in die Partei Schwierigkeiten bereitet. Dies nimmt er heute zum Anlass, zu erklären, er habe niemals zur NSDAP oder einer dieser Gliederungen angehört. Meinerseits kann ich nur erklären, dass ich mich mit Bestimmtheit erinnere, dass er das letzte Mal, als ich ihn sah – und dies war Mitte 1935 – das Parteiabzeichen trug. Ob er es berechtigt oder unberechtigt getragen hat, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis."
Ich fand die von Forschbach erwähnte Meldung in der Ausgabe des "Völkischen Beobachters" vom Sonntag/Montag 11./12. Juni 1933, auf der Titelseite. An der betreffenden Stelle heißt es: "Zwei maßgebende jüngere Führer der deutschnationalen Kampfringbewegung, darunter der Begründer der Kampfringe, Studienassessor Flume aus Dortmund und Dr. Gisevius aus Düsseldorf, haben im Laufe des heutigen Tages ihren Austritt aus der Deutschnationalen Front erklärt und haben sich bei der Bewegung Adolf Hitlers angemeldet."
Im Nachlass Gisevius (Archiv für Zeitgeschichte, Zürich, Nachl. Gisevius 4.2.) gibt es wie angetönt einen Zeitungsausschnitt ähnlichen Inhalts. Die "Niedersächsische Tageszeitung", Hannover, berichtete am 16. Juni 1933: "Die bisherigen Bundesführer des Deutschnationalen Kampfringes, Studienassessor Flume-Dortmund und Dr. Gisevius-Düsseldorf, erlassen folgenden Aufruf: "Kameraden! Um dem Vaterlande zu dienen, haben wir uns ehrlichen Herzens der Führung Adolf Hitlers unterstellt. Wir bitten die Kampfringkameraden (...), sich unserem Schritt, der aus tiefster Liebe zum Volk und Reich erwachsen ist, sofort anzuschließen. In vertrauensvoller Aussprache hat uns Ministerpräsident Göring die feste Zusicherung gegeben, dass die im nationalen Freiheitskampf schon vor dem 30. Januar erprobten Kameraden offene und ehrliche Aufnahme in den Reihen Adolf Hitlers finden. Darum fort mit allem Misstrauen! Hinein in die Bewegung der Zukunft."
Beim Blättern im "Völkischen Beobachter" fielen mir allerdings einige Dinge auf, die den Charakter der "vertrauensvollen Aussprache" mit Göring in etwas anderem Licht erscheinen lassen. Ich zähle diese Meldungen auf:
- Völk. Beob., 31. Mai 1933: "Kampfring junger Deutschnationaler in Hamburg aufgelöst. (...) Der Kampfring junger Deutschnationaler ist aufgrund des § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 23. (oder 28. – auf Mikrofilm schlecht leserlich) Februar 1933 am 29. Mai verboten und aufgelöst worden."
- Völk. Beob., 1. Juni 1933: "Übertritt Dr. Stadtlers zur N.S.D.A.P. Der deutschnationale Reichstagsabgeordnete Dr. Eduard Stadtler hat seinen Austritt aus der deutschnationalen Reichstagsfraktion (...) erklärt und in einem Schreiben an den Fraktionsführer der nationalsozialistischen Reichstagsfraktion (...) um Aufnahme in die nationalsozialistische Fraktion gebeten."
- Völk. Beob., 16. Juni 1933: "Verbot des Deutschnationalen Kampfrings im Präsidialbezirk Dortmund"
- Völk. Beob., 20. Juni 1933: "Stahlhelm-Verbot in Braunschweig" (Gisevius war trotz seines Zivilisten-Daseins prominentes Stahlhelm-Mitglied)
- Völk. Beob., 21. Juni 1933: "Der Regierungspräsident in Düsseldorf hat im gesamten Bereich des Regierungsbezirks den Stahlhelm in seiner bisherigen Oransisationsform bis auf weiteres verboten."
- Völk. Beob., 22. Juni 1933 [Titelseite, riesige Schlagzeile]: "Gegen marxistische Zersetzung. Auflösung und Verbot des deutschnat. Kampfringes. Besetzung und Ausräumung der Geschäftsstellen im ganzen Reich durch Polizei und SA. Überall kommunistische Verseuchung in den Kampfstaffeln festgestellt."
- Völk. Beob., Sonnabend, 24. Juni 1933: "Das Verbot der S.P.D. Wohlverdientes Ende der marxistischen Landesverratspartei"
"Ausschluss der Führer der christl. Gewerkschaften aus der Arbeitsfront. Wegen Unfähigkeit und Unloyalität trotz Duldung durch die N.S.D.A.P."
Die Erklärung von Gisevius scheint also vermutlich weit weniger freiwillig und "ehrlichen Herzens" erfolgt zu sein als es für "Anwalt Forschbach" damals und später den Anschein hatte. Die als solche keinesfalls entschuldbare Äußerung von Gisevius muss also wohl im Kontext der aggressiven nationalsozialistischen Gleichschaltung als Einknicken und – wenn ich werten müsste – als Versuch, die eigene Zukunft nicht zu gefährden ("Hinein in die Bewegung der Zukunft"), betrachtet werden.
"Anwalt Forschbach" hatte vom 29.6.1934 an keinen direkten Kontakt mehr mit Gisevius. Interessant ist immerhin, dass Forschbach bereits für 1932 (letzte Seite der Kopie) ein Gespräch mit Gisevius über den Nationalsozialismus rapportiert: "In dieser Aussprache (...) bekannte sich Gisevius mit zynischer Offenheit zu seinem Standpunkt, der Nationalsozialismus müsse gefördert werden, damit erst einmal genügend Unruhe geschaffen sei. Alles übrige werde sich finden. Ich glaube, diese Haltung ist für die Politik Gisevius' immer ausschlaggebend gewesen. Er ist Intrigant, Unruhestifter, Konspirateur und Zwischenträger, der immer dann politische Gewinne einzuheimsen hofft, wenn er möglichst viel Menschen gegeneinander au[s?]gespielt hat." Das deutet darauf hin, dass Gisevius bei den Deutschnationalen die Linie jener befürwortete, Hitler für die eigenen Zwecke zu benutzen, was bekanntlich zur Katastrophe führte. Eine innere Neigung zum Nationalsozialismus sagt ihm "Anwalt Forschbach" auch für den Sommer 1933, als Gisevius bei der Gestapo war, nicht nach: "Aber auch in damaliger Zeit konnte man, wenn man unter vier Augen mit Gisevius zusammen war, die schärfsten antinationalsozialistischen Äußerungen hören. Es ist richtig, dass ich durch ihn erstmalig Kenntnis von den furchtbaren nationalsozialistischen Verbrechen erhielt. (...) Von ihm hörte ich zum ersten Mal, und zwar schon 1933, über die Schrecken der Konzentrationslager. Was damals noch nicht 1% der Deutschen wusste, war Gisevius genau bekannt. Er war sich auch völlig klar über die verbrecherische Einstellung seines höchsten Chefs Hermann Göring. Ich glaube, dass er auch über Himmler nie eine andere Meinung hatte, als die, dass er ein Verbrecher sei. Aber trotzdem war er gerne bereit, sich in ihre Dienste zu stellen. Ich bin ab August 1933 nur noch sehr selten mit Gisevius zusammengekommen."
Natürlich suggeriert das Wörtchen "gerne" eine ganz bestimmte Motivlage; der Knackpunkt für die Gisevius-Forschung wird vermutlich die Bestimmung des exakten Zeitpunkts sein, wo die Hoffnung des jungen Rechtsradikalen Gisevius, an der Seite Hugenbergs den "Trommler" Hitler für die eigenen Ziele einzuspannen, endgültig zerrann. In einer ersten Phase scheint Gisevius naiverweise der Meinung gewesen zu sein, der erste Gestapochef Diels sei das einzige Problem und über seinen Sturz ließe sich die ausser Kontrolle geratene Lage wieder normalisieren. Wann genau Gisevius sich von seiner virulent-republikfeindlichen autoritären Staatsauffassung löste, vermag ich nicht zu sagen.
 
Zur Haltung von Gisevius gegenüber Diels: Vgl. den auf Gesprächen mit Gisevius beruhenden Artikel der Redaktion "Die Weltwoche" vom 18. Mai 1945 (S. 3) "Aus der Geheimgeschichte des Dritten Reiches": "Die Gestapo war die Erfindung eines Mannes, der sich als Sekretär des sozialdemokratischen Innenministers von Preußen, Severing, und durch die Veröffentlichung der berühmten Liebesbriefe Röhms, bei den Nazis besonders unbeliebt gemacht hatte: Rudolf Diels. Nun wollte er durch großen Eifer sich in den Augen der neuen Machthaber rehabilitieren und schlug daher Göring, der den Proselyten besonders protegierte, vor, er solle aus der preußischen Landeskriminalpolizei eine politische Polizei machen. Göring, der damals noch längst nicht die gleiche Machtfülle besaß wie später, griff diese Gelegenheit einer Erweiterung seiner Kompetenzen gerne auf und in drei kleinen Bürozimmern des Berliner Polizeipräsidiums am Alexanderplatz etablierte sich ein neues Amt: die preußische Geheime Staats-Polizei, kurz Gestapo genannt. Lange allerding hielt es Diels in diesen engen Räumlichkeiten nicht aus. Auf der Suche nach einem neuen Amtssitz war er auf das Gebäude der Kunstgewerbeschule in der Prinz-Albrecht-Straße aufmerksam geworden. Es war für einen Nazipolizisten bereits damals leicht, ein paar Rapporte zu fälschen, in denen 'einwandfrei' festgestellt wurde, dass in der Kunstgewerbeschule 'Orgien der Unsittlichkeit' stattgefunden hätten und schon konnte man als Hüter der Moral das sofort beschlagnahmte Gebäude beziehen. Es geschah überhaupt so manches bei der Gestapo, das dem noch nicht lange von der Universität abgegangenen Dr. Gisevius und einigen anderen Referendaren mehr als merkwürdig vorkam. Da schrieb man frischfröhlich Haftbefehle aus gegen jedermann, der einem missliebig war. Wer zu protestieren wagte, wurde bedroht: 'Wir legen dich auch noch um.' Als Gisevius diese feierliche Ankündigung auf baldiges Avancement ins Jenseits erhalten hatte, zog er es vor, sich nach einem anderen weniger odiosen Posten in der Verwaltung umzusehen und kam schließlich ins Innenministerium. Hier regierte Wilhelm Frick, der zwar zur Parteiführerschaft gehörte, aber doch als alter Beamter dem Treiben der Parteidesperados misstrauisch gegenüberstand. Seine kurze Amtszeit bei der Gestapo hatte Gisevius einen tiefen Eindruck gemacht. Diese Behörde wurde damals im Jahre 1934 in Deutschland nirgends recht ernst genommen. Man sah in den bürgerlichen Kreisen, die in jenen Anfangsjahren des Regimes noch in allen Ministerien und Verwaltungen saßen, nicht voraus, welche allmählich alles überschattende Macht dieser politischen Polizei im Laufe der weiteren Entwicklung zufallen musste, man begriff nicht, dass durch die Gestapo die nationalsozialistische Gesetzlosigkeit, die zunächst noch nachsichtig als revolutionärer Überschwang der ersten Jahre aufgefasst und entschuldigte worden war, zum Dauergesetz erhoben wurde. Gisevius versuchte vergeblich, seine konservativen, deutschnationalen und nationalliberalen Freunde auf diese Gefahr aufmerksam zu machen. Sie glaubten, er wolle seinen persönlichen Konflikt, den er mit den Herren der Gestapo gehabt hatte, zur Staatsaffäre machen. Und so konnte die Gestapo wachsen, so konnte sich das Geschwür der braunen Gesetzlosigkeit und des schwarzen Terrors immer tiefer ins Gewebe des nach außenhin immer noch 'streng legal' regierten Staates einfressen. Wirklicher 'Schwung' kam in die Entwicklung der Gestapo allerdings erst, als ein bis dahin noch sehr wenig bedeutender Mann namens Heinrich Himmler sich dieses Neugeborenen annahm. Himmler war 1934 Reichsleiter der politisch noch wenig bedeutenden SS. und Polizeipräsident in München. Er drängte nach Berlin, wo das große Spiel um die Macht gespielt wurde. Und Göring, der diesen kalten Streber ebensosehr hasste wie fürchtete, meinte, es sei das beste, sich ihn beizeiten zu verpflichten: er bot Himmler die Leitung der preußischen Gestapo an. Preis dieses Geschenks war Himmlers Beistand gegen den gemeinsamen Rivalen, den OSAF [Oberster SA-Führer; eigentlich: Oberster Stabsführer der SA] Ernst Röhm. In die Prinz-Albrecht-Straße zog nun Heinrich Himmler ein. Mit ihm kam ein aschblonder junger Mann, der niemandem offen in die Augen blicken konnte und sich scheu wegwendete, wenn man ihn gerade ansah: Reinhold Heydrich. Sie planten mit Göring ihren ersten großen Coup: das Blutbad vom 30. Juni 1934, das Ende des Einflusses der SA. Mit einigen gefälschten Telegrammen gelang es ihnen, Hitler zum Mithelfer ihrer Intrige zu machen …"
 
Zur "Aufnahme-Erklärung", die drei unbenützte Passbilder enthält / wann Gisevius geboren ist: Sie hatte, unter der Überschrift "Aufnahme-Erklärung" folgenden Wortlaut (Bundesarvhiv Berlin, BDC [Berlin Document Center] PK; Gisevius, Hans Bernd): "Ich erkläre mich hiermit bereit, der NATIONALSOZIALISTISCHEN DEUTSCHEN ARBEITERPARTEI beizutreten. Ich bin deutscher Abstammung, gehöre keiner Freimaurerloge oder sonst einem Geheimbunde an und werde einem solchen während der Dauer meiner Zugehörigkeit zur Partei nicht angehören. Ich verpflichte mich ferner zur Zahlung einer Aufnahmegebühr und eines monatlichen Beitrage.
Vor- und Zunahme: Hans-Bernd Gisevius
Stand und Beruf: Assessor im Geheimen Staatspolizeiamt
Wohnort: Berlin Schlachtensee, Elisabethstr. 21.
Geburtstag: 14. Juni 1904.
Eintritt am: 9. Juni 1933.
Berlin, den 15.11.1933
(Unterschrift)
Kommentar: Zum Datum 15. November 1933 vgl. meinen Brief an Hermann Weiß vom 9. März 2001:

Peter Kamber                                       9. März 2001
Schaperstr. 21
10719 Berlin
030-25 29 85 95
                                                             Hermann Weiß
                                                             Edelweißstr. 20
                                                             82194 Gröbenzell
 
Betr. Biogr. Lexikon zum Dritten Reich, Artikel "Hans Bernd Gisevius"
 
Sehr geehrter Herr Weiß
 
Es tut mir leid, dass ich erst jetzt dazu komme, Ihren freundlichen Brief vom 20.12.2000 zu beantworten. Die Arbeit an meinem historischen Roman (den ich, was die Fakten betrifft, als Historiker schreibe) ließ mir vorher keine Zeit. (Mein erstes wissenschaftliches Forschungsgebiet waren übrigens Hexenverfolgungen und Bauernaufstände; ich hatte also immer viel mit Handschriften zu tun; promoviert habe ich bei Prof. Blickle in Bern; die 1991 abgeschlossene Diss. ist allerdings aus Kostengründen noch ungedruckt.)
Ich musste auch warten, bis ich die übrigen Kopien aus dem Bundesarchiv Berlin erhielt, von denen ich Ihnen die das Jahr 1933 und 1934 betreffenden kopiere (Sie dürfen sie gerne behalten). Das zusätzliche Material bietet nun viel mehr Möglichkeiten, die offenen Fragen zu klären.
1. In Dokument 1 vom 4. März 1933 findet sich das Geburtsdatum von Gisevius, der 14. Juni 1904, bestätigt. Es steht also einwandfrei fest, dass Gisevius das "n" in "Juni" bei der Geburtstagsangabe in der NSDAP-Aufnahme-Erklärung (die ich Ihnen der Einfachheit halber noch einmal kopierte) mit einem überhöhten Aufstrich macht. Dieses erste "Bein" des "n" in Juni beginnt aber schon auf der Grundzeile. Vergleichen Sie nun aber in Dokument 6 vom 30. Juni 1933, wie Gisevius "Juli" schreibt (Gisevius bittet da, "mich erst nach dem 20. Juli zur ...-Prüfung zu laden"; dass "Juli" gemeint ist, geht erstens aus dem Datum und zweitens daraus hervor, dass der Termin schließlich tatsächlich auf den 21. Juli festgesetzt wurde): bei "Juli" setzt er den Strich für das "l" bereits beim Querstreich über dem "u" an. Aus diesem Grund denke ich nach wie vor, dass die Datumsangabe bei "Eintritt" auf der Aufnahme-Erklärung als 9. Juni 1933 gelesen werden muss.
2. Viel wichtiger sind aber andere Dinge. In der Aufnahme-Erklärung gibt Gisevius unter "Stand und Beruf" an: "Assessor im Geheimen Staatspolizeiamt". Diese Angabe enthält den entscheidenden Hinweis zur Datierung der Aufnahme-Erklärung.
Wie Sie in Dokument 1 vom 4. März 1933 sehen, ist Gisevius Anfang März 1933 noch immer Referendar und er bleibt es (vgl. auch Dokument 3 vom 4. März 1933, Dok. 4 und 5 vom 21.4. 1933, Dok. 6 vom 30.6.1933) bis der Beförderung zum Assessor, die erst nach der bestandenen großen Staatsprüfung erfolgt (Dok. 7 vom 22.7.1933) und für die Berechnung des Dienstalters rückwirkend (aus mir nicht bekanntem Grund) auf den 28. Juni 1933 festgesetzt wird.
Es ist also ausgeschlossen, dass Gisevius die Aufnahme-Erklärung am "15.2.1933" unterzeichnet haben kann. In der Datumsangabe macht er ja auch das "1" in "15" ohne Aufstrich, also wie ein römisches "I": aber er meint ein arabisches "1".
Diese Interpretation kann mit dem Hinweis auf die neue Arbeitsstelle untermauert werden: "Assessor im Geheimen Staatspolizeiamt".
Noch in Dokument 8 vom 26. Juli 1933 hat er keine Stelle (es wird berichtet, er bewerbe sich "um eine Verwendung im preussischen Verwaltungsdienst"). Im Dokument 7 vom 22. Juli 1933 wird ihm im übrigen keine große Hoffnung gemacht: es heißt da (auf S. 2), dass "angesichts der großen Zahl der Gerichtsassessoren (z.Zt. rd. 4050) die Beschäftigungs- und Anstellungsverhältnisse im Bereiche der preußischen Justizverwaltung außerordentlich ungünstig sind". In Dokument 9 vom 23. August 1933 wird übrigens auf sein Engagement in der DNVP hingewiesen, für die er sogar bei Reichstagswahlen kandidiert hat. (Dies bietet eine Erklärung für die Ablehnung seines – wie auch immer motivierten – Parteiaufnahmeantrags: er galt in Nazibegriffen als "Reaktionär").
Erst das Dokument 10 vom 7.10.1933 vermeldet, dass Gisevius eine Stelle fand: Er erhält die Bewilligung "zur Beschäftigung in der Staatlichen Polizeiverwaltung" und erhält den "Urlaub" aus Düsseldorf (wohin er wegen eines Ehrverletzungsprozesses aus dem Jahre 1931 strafversetzt worden war).
Aus diesen Gründen ist meiner Meinung nach das Datum in der Aufnahme-Erklärung als 15. 11.1933 zu lesen.
Warum er dann den "Eintritt" zurückdatierte, kann ich nicht sagen. Ich bin mit der Materie auch zu wenig vertraut, um sagen zu können, ob es im Ermessen der Antragsteller stand, den Eintritt in die Partei – für den Fall, dass eine Aufnahme erfolgte – selbst angeben zu können und eventuell aus Karrieregründen vorzuziehen.
Da wie in meinem ersten Brief an Frau Monika Deniffel vom 29. Oktober 2000 erwähnt die drei miteingereichten Passphotos unverwendet blieben und Gisevius weder einen Parteiausweis noch eine Parteinummer erhielt (und auch nie einen Parteibeitrag leistete), wurde Gisevius nie Mitglied der NSDAP.
Über die Gründe für den Antrag auf Partei-Aufnahme (und die Gründe der NSDAP-Verantwortlichen, ihn nicht aufzunehmen) lässt sich nur spekulieren. Diese Frage kann wohl nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Lebens und der Tätigkeit von Gisevius diskutiert werden. Diejenigen, die seinen Ehrgeiz und sein Karrierestreben betonen, werden es als Opportunismus auslegen wollen; diejenigen, die am anderen Ende des Deutungsspektrums seinen spätere Zugehörigkeit zum engsten Kreis der Verschwörer vom 20. Juli vor Augen haben, könnten darin eine List sehen oder ein Kalkül: mit der Aufnahme-Erklärung unterwarf er sich nach außen hin, wohl wissend, dass sie ihn, den als "Karrieristen" verschrienen Angehörigen einer "reaktionären" Partei ablehnen würden (er konnte dann bequem sagen: Seht, ich hab's ja versucht). Oder – und das wäre am ehesten meine Meinung – hoffte er (im Sinne der DNVP-Zähmungstheorie) im November 1933 noch darauf (vgl. "Bis zum bittern Ende", Zürich 1946, S. 168; Kopie in der Anlage), dass Hitler eine ganz andere Richtung einschlägt und sich vom SA-Terror lossagt (wie das selbst nach dem 30. Juni 1934 noch viele Militärs glauben wollten)?
Ich bin froh, dass das neue Material erlaubt, die Datierungsfrage aufgrund von historischen Sachzusammenhängen zu entscheiden. Es ist immer misslich, wenn für derart wichtige Dinge so oder andersrum entzifferte Buchstaben den Ausschlag geben müssen.
Mit bestem Dank für Ihre Geduld, den besten Wünschen und ganz freundlichen Grüßen
 
Der NSDAP beigetreten ist Gisevius nie – weder erhielt er eine Nummer noch zahlte er Beiträge. In einer Stellungnahme, die sich im Nachlass Gisevius (Archiv für Zeitgeschichte, Zürich) befindet und der im Zusammenhang mit dem Streit mit Tobias um die Theorien zum Reichstagsbrandprozess steht (NL Gisevius, 4.2: Entwurf für unseren nächsten Schriftsatz. Materialien zur Beweisführung; ca. 1961), schreibt Gisevius: "... dass es sich (...) um eine völlig unverbindliche Bereitschaftserklärung handelte, wie sie 1933 mit Vorliebe missliebigen Beamten zur Unterschrift vorgelegt wurde, um sie mürbe zu machen oder – im Falle der Verweigerung der Unterschrift – ihre Wegversetzung zu begründen. Der Beklagte [d.h. Gisevius] hat damals kurzerhand den Spiess umgekehrt und es ist ihm in der Tat gelungen, trotz seiner Zugehörigkeit zur politischen Polizei die lästigen Mahner [d.h. diejenigen, die ihn mahnten, er solle endlich der NSDAP beitreten] unter Berufung auf dieses angeblich in Bearbeitung befindliche Stück Papier ungefähr ein halbes Jahr hinzuhalten. Dann allerdings wurde er [Gisevius] von der Personalabteilung vorgeladen, um sich zu erklären, ob und wo er sich nun wirklich zum Parteieintritt gemeldet habe. Bekanntlich gab es dafür feste Vorschriften. Man musste mit dem üblichen Pack von Urkunden seine Aufnahme beim zuständigen Ortsgruppenleiter beantragen, worauf man einen Ausweis als Parteianwärter erhielt. Das zu tun hat sich der Beklagte beharrlich geweigert. Folgerichtig hat der Bundesinnenminister, dem bei seiner Nachforschung von Amtswegen besagtes Papier vom Document Center vorgelegt wurde, die korrekte Feststellung getroffen, dass der Beklagte niemals Mitglied der Partei oder einer Ihrer Gliederungen war."
 
Was das Datum des 9. Juni 1933 unter "Eintritt" bedeuten soll, blieb mir lange unklar, da die Aufnahme-Erklärung" ja vom 15. November 1933 stammt. Gisevius gab in dem von ihm selbst mit Bleistift auf "Frühjahr 1961" datierten "Entwurf für unseren nächsten Schriftsatz. Materialien zur Beweiswürdigung" (Archiv für Zeitgeschichte, Zürich, Nachlass Gisevius 4.2.) an, dass es sich "bei jenem 'förmlichen Aufnahmegesuch' um eine völlig unverbindliche Bereitschaftserklärung handelte, wie sie 1933 mit Vorliebe missliebigen Beamten zur Unterschrift vorgelegt wurde, um sie mürbe zu machen oder – im Falle der Verweigerung der Unterschrift – ihre Wegversetzung zu begründen". Gisevius unterzeichnete die "Aufnahme-Erklärung" am 15. November 1933 und genützt hat die wie gesagt am 15. November 1933 unterzeichnete "Aufnahme-Erklärung" nicht viel, Gisevius wurde wenig später ins Preußische Innenministerium versetzt. Worauf ich hinauswill: Erst aufgrund des bereits zitierten Artikels im "Völkischen Beobachter" ist zu erahnen, warum Gisevius bei der Rubrik Eintritt den 9. Juni 1933 angab. Es würde mich nicht überraschen, wenn jene "vertrauensvolle Aussprache" mit Göring an keinem anderen Tag als an diesem 9. Juni 1933 stattgefunden hätte und Gisevius damals, unter Druck, mündlich seine Bereitschaft erklärte, um eine Aufnahme in die NSDAP nachzusuchen. Dieser Erklärung ließ er aber keine Taten folgen und redete sich, so ließe sich kombinieren, bei jenem anderen 'vertrauensvollen' Gespräch im November mit irgendeinem Vorgesetzten der Gestapo damit heraus, er sei ja bereits längst, das heißt am 9. Juni 'eingetreten'.
 
Zur Dokumentation drucke ich hier den Rest der Erinnerungen von Edmund Forschbach ab, deren Anfang bereits wiedergegeben wurde: "Als die Deutschnationale Partei im Mai/Juni 1933 zerfiel, war Gisevius der erste, der zu Hitler überlief. Er hat nach meinem Dafürhalten über Grauert [Anm. P.K: Ludwig Grauert, geb. 9.1.1891, war zunächst Staatsanwalt in Münster und Bochum, dann war er in der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie tätig. Laut "Biographisches Lexikon zum Dritten Reich", hg. von Hermann Weiß, Frankfurt a. M. 1998, wurde Grauert am 19.2.1933 zum Ministerialdirektor ernannt "und fungierte bis Juni 1936 als Leiter der Polizeiabteilung im Preußischen Ministerium des Innern." Er war Mitglied der SS und unterzeichnete am 29.5.1933 "den sog. Grauertschen Erlass, der die Anwendung körperlicher Gewalt zur Aufklärung hoch- und landesverräterischer Handlungen indirekt genehmigte." Mitte 1936 wurde er in den Ruhestand versetzt.] schon wochenlang vorher mit Nationalsozialisten konspiriert, um eine Aufnahme in die NSDAP zu erreichen. Der 'Völkische Beobachter' in der Berliner Ausgabe [müsste heißen: Norddeutsche Ausgabe, Berlin; eine eigene Berliner Ausgabe gab es erst im Verlauf des Kriegs] meldete auf grosser Schlagzeile Anfang oder Mitte Juni 1933, dass der Kampfringführer Gisevius zur NSDAP übergetreten sei [Anm. P.K.: er habe "…sich bei der Bewegung Adolf Hitlers angemeldet", heißt es im "Völkischen Beobachter" vom 11./12. Juni 1939 auf Seite 1 wörtlich; dazu siehe vorangegangene Anmerkung]. Ich habe dieses Exemplar lange verwahrt. Es ist mir aber dann auch leider in Breslau abhanden gekommen. Ich glaube allerdings, dass Gisevius an seinen Übertritt die zur NSDAP Hoffnungen geknüpft hatte, die nicht erfüllt wurden, denn in der NSDAP gab es Kreise, besonders um Goebbels, die ihn stark ablehnten. Deswegen wurden auch seiner formellen Übernahme in die Partei Schwierigkeiten bereitet. Dies nimmt er heute zum Anlass, zu erklären, er habe niemals zur NSDAP oder einer dieser Gliederungen angehört. Meinerseits kann ich nur erklären, dass ich mich mit Bestimmtheit erinnere, dass er das letzte Mal, als ich ihn sah – und dies war Mitte 1935 – das Parteiabzeichen trug. Ob er es berechtigt oder unberechtigt getragen hat, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis.
Über Grauert verstand es Gisevius, sich Aufnahme in den Preußischen Staatsdienst zu verschaffen. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass er sich alle Mühe gegeben hat, zum Dienst in der Gestapo verwandt zu werden. Und zwar wurde er von Grauert in die Gestapo geschickt, um den damaligen Chef der Gestapo Diels zu bespitzeln. Dies hat er mir selbst wiederholt unmissverständlich erklärt. Ich habe genug Äußerungen von ihm im Sommer 1933, aus denen sich diese Einstellung ergab. Diels galt damals bei den Nationalsozialisten nicht als besonders zuverlässig, und Gisevius stellte sich Grauert zur Verfügung, um diesen für nationalsozialistische Begriffe unsicheren Kantonisten zu überwachen. [Kommentar P.K.: Die Terrormorde und die Zusammenhänge zwischen Diels und der SA werden hier zu Unrech völlig ausgeklammert] Aber auch in damaliger Zeit konnte man, wenn man unter vier Augen mit Gisevius zusammen war, die schärfsten antinationalsozialistischen Äußerungen hören. Es ist richtig, dass ich durch ihn erstmalig Kenntnis von den furchtbaren nationalsozialistischen Verbrechen erhielt. Von ihm erfuhr ich, wer für den Reichstagsbrand verantwortlich gemacht wurde. Von ihm hörte ich zum ersten Mal, und zwar schon 1933, über die Schrecken der Konzentrationslager. Was damals noch nicht 1% der Deutschen wusste, war Gisevius genau bekannt. Er war sich auch völlig klar über die verbrecherische Einstellung seines höchsten Chefs Hermann Göring. Ich glaube, dass er auch über Himmler nie eine andere Meinung hatte, als die, dass er ein Verbrecher sei. Aber trotzdem war er gerne bereit, sich in ihre Dienste zu stellen. [P.K.: "gerne" suggeriert hier nur Motive] Ich bin ab August 1933 nur noch sehr selten mit Gisevius zusammengekommen.
Am 29.6.1934 sprach ich ihn zum letzten Mal. (...) Ich traf Gisevius zufällig (...) [Es folgen Ausführungen über die damals gerade erfolgte Verhaftung von Edgar Jung (1894-1934), eines Juristen und Publizisten, der am 30.6.1934 bei Oranienburg erschossen wurde]. Über Jung äusserte er sich damals in abfälligster Weise und erklärte, es sei absolut töricht, irgendeinen Versuch zu unternehmen, Hitler zu stürzen. Es mag sein, dass er damals nicht innerlich überzeugter Nationalsozialist war, nicht "Führergläubig" wie der typische Nazi, aber er war bedingungslos bereit, dem Naziregime zu dienen [P.K.: Dass Gisevius gegen außen diesen Eindruck erweckte, scheint unbestreitbar; die Frage bleibt, was dahintersteckte]. (...) Seine Beziehungen zu Jung waren nicht besonders eng. Edgar Jung hat ihn, soweit ich mich erinnere, immer schärfstens abgelehnt und ist ihm mit dem grössten Misstrauen begegnet. Im Jahre 1932 hat einmal in der Wohnung von Edgar Stadtler eine nächtliche Aussprache zwischen Edgar Jung und Gisevius stattgefunden, die sich im wesentlichen um das Problem Nationalsozialismus drehte. In dieser Aussprache, in der Jung auf die ernsten Gefahren, die uns von Hitler drohten, mit allem Nachdruck hinwies, bekannte sich Gisevius mit zynischer Offenheit zu seinem Standpunkt, der Nationalsozialismus müsse gefördert werden, damit erst einmal genügend Unruhe geschaffen sei. Alles übrige werde sich finden. Ich glaube, diese Haltung ist für die Politik Gisevius' immer ausschlaggebend gewesen. Er ist Intrigant, Unruhestifter, Konspirateur und Zwischenträger, der immer dann politische Gewinne einzuheimsen hofft, wenn er möglichst viel Menschen gegeneinander ausgespielt hat. Auch nach dem 30.6.1934 [Morde während des sog. Röhmputsches] hat er weiter den Nationalsozialismus gestützt. Er hat sich im Frühjahr 1935 noch dem Sohn von Martin Spahn, Carl Peter Spahn gegenüber gerühmt, innerhalb der Gestapo das Verbot der Zeitschrift des katholischen Jungmännerverbandes 'Die junge Front' durchgesetzt zu haben. 1936 warnte er meinen Freund Franz Etzel aus Duisburg vor dem Umgang mit mir, weil ich offenbar Verbindung mit linksstehenden Politikern habe. (...) Was Gisevius nach 1937 getan hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich glaube aber nicht, dass sich sein Charakterbild wesentlich verändert hat. Denn eine Läuterung scheint mir bei einem Menschen nur durch das Wunder der Gnade bewirkt werden zu können, und an diese Wunder zu glauben, bin ich leider ausserstande."
(Schweizerisches Bundesarchiv, E 4320 (B) 1990/133; Bd. 8 (Bundesanwaltschaftsdossier Hans Bernd Gisevius, C.12.3120): Mäppchen "Charakteristika über Dr. Gisevius", Abschrift der undatierten Stellungnahme [höchstwahrscheinlich 1947] von Edmund Forschbach)
 
Berichte von Gisevius für Göring: Freundliche Mitteilung von Hersch Fischler.
 
Zur Arbeit von Gisevius im Preußischen Innenministerium: Vgl. Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940, München 1988; S. 456: Zusammenarbeit mit Hans von Dohnanyi, dem persönlichen Referenten des Reichsinnenministers – und gleichzeitig Preußischen Innenministers – Franz Gürtner; S. 552: Rechtsschrift von Gisevius 1934/35 über die Rechtsunsicherheit bei Schutzhaft; S. 555: "Methode Gisevius"; das Innenministerium erhielt nur bei Schutzhaftbeschwerden überhaupt Kenntnis von Schutzhaftfällen; Gisevius versuchte dann jeweils, durch Anforderung von Sachberichten beim Geheimen Staatspolizeiamt ein Maximum an Informationen zu sammeln. Lothar Gruchmann (ebenda, S. 555) charakterisierte die "'Methode Gisevius'" wie folgt: "Schutzhaftbeschwerden, die dem preußischen Innenministerium zu Gehör kamen, dort aber wegen der Untersellung unter den preußischen Ministerpräsidenten [seit 1933 Hermann Göring] nicht bearbeitet werden konnten, ins Reichsinnenministerium zu übernehmen und dort beim Geheimen Staatspolizeiamt Sachberichte anzufordern." In der dazu verfassten Anmerkung schreibt Gruchmann: "Zur Ausnützung dieses Kompetenzwirrwarrs vgl. H. B. Gisevius, Bis zum bittern Ende, Band I, Zürich 1946, S. 211."
 
Grundsätzliches zur Charakterisierung von Gisevius, Canaris, Oster, Dohnanyi und Kordt: In einem umwälzenden Beitrag, der auch seinen umfassenden Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik in Weißrussland beruht, beleuchtete Christian Gerlach die Haltung von Hitlergegnern wie Tresckow, v. Gersdorff und v. Schlabrendorff neu ("Hitlergegner bei der Heeresgruppe Mitte und die 'verbrecherischen Befehle'", in: Gerd R. Ueberschär, Hrsg., NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, Darmstadt 2000, S. 62-76). Gerlach rief dazu auf, in der Forschung den "Differenzen zwischen Dokumenten und späteren Darstellungen" in den Memoiren der Beteiligten nachzugehen – der "Rückgriff auf Quellen und eine sorgfältige Quellenkritik" erscheinen ihm "dringend erforderlich" (S. 67): "Es stimmt, dass für die Verschwörer Tarnung und ein Leben mit dem System unvermeidlich waren. (...) Aber die moralischen Ansprüche, die von den Hitlergegnern unter den Offizieren ausgingen und die vor allem in nachhinein an sie geknüpft worden sind, werden sich an einer Untersuchung ihres Handelns anhand der Quellen messen lassen müssen." (S. 69f) Dem stimme ich ohne Abstriche zu. Gerade wer die Quellen kennt, weiß, dass sich die Forschenden dadurch nicht etwa – wie Gerlach zu Unrecht vorgeworfen wurde – "von vornherein auf die Seite des Akten produzierenden Systems" stellt.
Biografien oder zumindest ausführliche Studien gibt es sowohl zu Canaris (Ian Colvin, Canaris – Chief of Intelligence, Maidstone 1973 (1951); Karl Heinz Abshagen, Canaris. Patriot und Weltbürger, Stuttgart 1955; Heinz Höhne, Canaris. Patriot im Zwielicht, München 1976) wie auch zu Oster (Romedio Galeazzo Graf von Thun-Hohenstein, Der Verschwörer. General Oster und die Militäropposition, Berlin 1982) und Dohnanyi (Winfried Meyer, Unternehmen Sieben. Eine Rettungsaktion, Frankfurt a. M. 1993; Winfried Meyer, Hrsg., Verschwörer im KZ. Hans von Dohnanyi und die Häftlinge des 20. Juli 1944 im KZ Sachsenhausen, (Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Bd. 5) Berlin 1999). Ein entsprechendes Werk zu Hans Bernd Gisevius fehlt. Obwohl es mir gelang, genügend Archivmaterial und Zeitzeugenstimmen über ihn zu sammeln, gilt für Gisevius mit Sicherheit, was Christian Gerlach in Bezug auf einzelne weniger bekannte Mitglieder der Militäropposition schreibt, "dass eine psychologische Gesamtinterpretation noch aussteht". Eine solche Studie kann der Roman und können auch die Anmerkungen in diesem Anhang nicht ersetzen. Im Roman versuche ich, die Charaktere der Figuren in Bezug auf die persönlichen Konflikte, vor denen sie standen, zu entwickeln – ausgehend von den von ihnen überlieferten Ansichten und den dokumentierten Ereignissen, an denen sie teilhatten. Die Lage, in der sie sich befanden, ließ nur eine sehr beschränkte Anzahl von 'inneren' Reaktionsweisen zu. Die Typisierung, die ich so gesehen unvermeidlicherweise vornahm, stellt gleichzeitig eine Interpretation dar. Im Rahmen der Forschung müsste von einer Hypothese gesprochen werden. Denn selbstverständlich erfordern auch wissenschaftliche Biografien Vorstellungskraft. Im Roman war das Entwerfen der Figuren nicht möglich, ohne ihnen mehr Stimme zu geben, als von ihnen in den Archiven überliefert ist. Ich tat das, indem ich ihnen – wie ich einmal Freunden gegenüber formulierte – eine zusätzliche Reflexionsebene 'einzog'. Was sie in bestimmten Augenblicken vielleicht nur gefühlt haben mochten, versuchte ich aufgrund des heute vorhandenen Wissens irgendwie zwischen den Zeilen, in Stimmungen oder in gewissen Dialogpartien anzudeuten. Das heißt nicht unbedingt, dass ich sie aktualisierte, aber selbstverständlich ist jeder historische Roman definitionsgemäß anachronistisch, das heißt aus einer anderen, späteren Zeit herausgeschrieben. Was aber vermutlich zu allen Zeiten als typisch für die Zeit des Nationalsozialismus angesehen werden wird, sind die Entscheidungsprobleme und ethischen Grundfragen, vor denen die beschriebenen Charaktere standen. Je besser es gelingt, diese Konflikte zu rekonstruieren, desto näher kommen die Personenschilderungen vermutlich der Wirklichkeit. Von dieser Vorstellung ließ ich mich zumindest leiten.

(Zu weiteren Materialien: gezielte Suche möglich in der Datei „Anmerkungen“)
Der Text des Romans liegt inzwischen als Hörbuch vor, gelesen  von Marianne Weber für die Schweizerische Bibliothek für Blinde,  Seh- und Lesebehinderte, Zürich; Hördauer 4282 Minuten.
Katalogtext: Der Schweizer Historiker zeichnet ein gross angelegtes Panorama der Geheimdienstaktivitäten in und um Deutschland während der Naziherrschaft. Die Engländerin Elisabeth Wiskemann und der in der Schweiz wohnhafte ausgebürgerte Deutsche Rudolf Roessler werden aus antifaschistischer Überzeugung zu Geheimagenten. In der Lebensgeschichte dieser realen Personen verknüpfen sich die Aktivitäten der alliierten Nachrichtendienste mit denen der nazideutschen Gegenspionage. Nach achtjähriger Quellenforschung deckt der Autor in diesem dichten, anspruchsvollen und sehr umfangreichen Roman zahlreiche unbekannte Zusammenhänge auf.

Hier außerdem eine PDF-Datei mit den Anmerkungen des Autors zum Roman, fortlaufend, nach Kapiteln geordnet:
 
(Die Datei umfasst mehr als 1000 Seiten)

Die Webseite mit der Datei der Anmerkungen zum Buch soll für Transparenz sorgen. Grundsatz war: Personen und Ereignisse authentisch; „Erfindung“ oder Fiktion nur dort, wo die Quellen schweigen oder sich widersprechen, und dies strikt im Rahmen des Plausiblen. So gesehen hat der Roman – erkenntnistheoretisch gesprochen – den Status eines komplexen Hypothesenmodells, denn rein historiografisch sind zahlreiche der im Roman aufgeworfenen Fragen nach der derzeitigen Quellenlage nicht zu beantworten, wie es im Fachjargon so schön heißt (z.B. bei Michael Früchtel, Der Architekt Hermann Giesler. Leben und Werk, München 2008, S. 278). Ob Literatur dazu berechtigt sei, sich auch da, wo es „eigentlich“ nicht geht, ein Bild der Vergangenheit zu machen, hängt auch davon ab, wie offen für Kritik – oder eben: wie transparent – das Vorgehen dabei ist. Der historische Roman – oder der Geschichtsroman – verdankt seine Existenz als Genre letztlich einem nahezu unüberwindlichen Darstellungsproblem der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung. Jene erfolgt nämlich zumeist in Form von Einzelstudien oder geht auch in den großen Überblickswerken nach Kapiteln oder Teilen gegliedert Einzelfragen nach, die allzu häufig nur abstrakt zusammengedacht werden. Einzig Biografien vermögen – aus der Optik der dargestellten Person – annäherungsweise eine zusammenhängende Weltsicht zu entwerfen, durch die Augen der Figuren, Welt verstanden als „Wirklichkeit“, wie sie von den Figuren wahrgenommen wurde. Dieser Roman ist der Versuch, für drei Hauptfiguren und über dreißig Nebenfiguren für die Jahre 1939 bis 1945 das Projekt einer Kollektivbiografie zu wagen. Als Sachbuch würde sich ein solches Unterfangen wegen der Komplexität der einzelnen Lebenszusammenhänge zur Unleserlichkeit verdammen. Der Roman kann zumindest den Versuch wagen, ein solches Zeitbild zu entwerfen. Die Grenzen des Genres des historischen Romans zu erweitern war die Herausforderung. Die Rolle des Autors umfasst dabei, im vorliegenden Fall, die eines Rechercheurs, Interviewers, Interpreten, „Schauspielers“ und „Regisseurs“. Das verstehe ich so: Beim Schreiben „spiele“ ich die Figuren, ähnlich wie ein Schauspieler oder eine Schauspielerin auf der Bühne oder im Film einen Charakter zur Darstellung bringen würde, wenn er oder sie bei diesem Vorgang zugleich die Regie innehätte. Der Roman kann ohne Rücksicht auf die im Theater und im Film anfallenden Kosten die komplexesten „Wirklichkeiten“ mit Worten entwerfen und – vor den Augen der Leserinnen und Leser – bildlich werden lassen. Diese Chance wollte ich bei diesem ernstesten Thema des 20. Jahrhunderts nutzen. (Komplexität zu durchdenken ist die Herausforderung der Zeit.)

Peter Kamber, Berlin, 18. Oktober 2008/26. Februar 2010