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Zur Biografie von Rudolf Roessler (22.11.1897-11.12.1958): Rudolf Roessler wurde am 22. November 1897 in Kaufbeuren im schwäbischen Teil Bayerns geboren. Volksschule und Gymnasium absolvierte er in Augsburg, zur selben Zeit übrigens wie Bertold Brecht (Anthony Read/David Fisher, Colonel Z. The Life and Times of a Master of Spies, London 1984, S. 248), der nur zweieinhalb Jahre jünger war. 1916, noch keine 19 Jahre alt, leistete Roessler Kriegsdienst. 1918 führte er, wie Roesslers langjähriger Luzerner Freund Arnold Stöckli erzählt, als Zugführer seine Kompanie durch alle Wirren sicher nach Augsburg zurück (mündliche Auskunft von Arnold Stöckli (1.12.1993). Ab 1919 liess er sich zum Redaktor ausbilden, und von 1921 bis 1925 wirkte er an der "München-Augsburger Abendzeitung" und an der "Allgemeinen Zeitung", München-Augsburg als Redaktor. Zur Fortsetzung seines Lebenslaufes erklärte Roessler nach seiner ersten Verhaftung in der Schweiz im Mai 1944 den Schweizer Behörden gegenüber:
"Von 1925 bis 1926 war ich Herausgeber der Zeitschrift 'Form und Sinn' in München-Augsburg. Nach weiterer schriftstellerischer und kultureller Tätigkeit übernahm ich die Leitung des 'Bühnenvolksbundverlages' in Berlin. Ab 1929 übernahm ich die geistige Leitung des Bühnenvolksbundes in Berlin." (Bundesarchiv Bern, 5330/1982/1; 1944/167/58 (19.5.1944)
In einem Antrag an die Wiedergutmachungskammer Berlin-West aus dem Jahre 1952 schrieb Rudolf Roessler:
"Durch gewaltsame und rechtswidrige Massnahmen der NSDAP bezw. deren Organisationen und durch die Unterstützung, welche diese Massnahmen seitens der preussischen und Reichs-Behörden gefunden haben, bin ich im Juni 1933 aus meiner Stellung als Dramaturg und geschäftsführender Direktor des Bühnenvolksbundes e.V. (...), gleichzeitig auch aus meiner Tätigkeit als Direktor der Bühnenvolksbundverlag G.m.b.H., Berlin, vertrieben worden. Der Verlust dieser Stellung hat gleichzeitig auch meinen Funktionen als Vorsitzender der Aufsichtsräte der Südwestdeutschen Bühne G.m.b.H., Frankfurt, der Schlesischen Bühne G.m.b.H., Breslau, der Ostpreussischen Bühne G.m.b.H., Königsberg, sowie weiterer Bühnen, ferner meiner ausgedehnten ehrenamtlich-öffentlichen Tätigkeit (z.B. als Mitglied der Film-Oberprüfstelle und als Mitgleid des Kunstausschusses beim Polizeipräsidium Berlin) und meinem literarischen Wirken in Deutschland ein Ende gemacht. Mit ihm war verbunden die erzwungene Einstellung meines Wirkens als Herausgeber von Deutschlands angesehenster Theaterzeitschrift ‚Das Nationaltheater’ und der ‚Deutschen Bühnenblätter’, als Herausgeber und Verfasser der dramaturgischen Schriftenreihe ‚Schauspiel der Gegenwart’ sowie überhaupt als Herausgeber und Verleger der von mir im Bühnenvolksbundverlag seit 1928 aufgebauten Theaterliteratur, deren Rang und Bedeutung unbestritten gewesen sind." (Bundesarchiv Bern, 4320 (B), 1973/17; Bd. 28; C.2.9151 (21.2.1952)
Grundlegend ist – neben den Aussagen Roesslers in den Verhören 1944 und 1953 – der Artikel von Xaver Schnieper "Mobilisierung des Gewissens. Porträtskizze Rudolf Rösslers", in: "Freie Innerschweiz. Sozialdemokratische Tageszeitung für die Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug, Nr. 123, 28. Mai 1966 (die Zeitung hat ihr Erscheinen inzwischen eingestellt).
Vgl. auch Peter Kamber, Rudolf Roessler. Geheimnachrichten für den Frieden. Radioessay, Süddeutscher Rundfunk (heute: Südwestrundfunk; Redaktion: Dr. Bernd H. Stappert), 29. Januar 1996; ders.,: Spionage die keine war: Der Kalte Krieg und die Strafsache Rössler/Schnieper, in: Basler Magazin (Magazin der "Basler Zeitung", Nr. 26, 2. Juli 1994, S. 6 und 7).
 
Schreibweise von Roesslers Namen: Ich beziehe mich auf Roesslers eigene Handschrift; die Seiten des Verhörprotokolls vom 27. Mai 1944 (Schweizerisches Bundesarchiv, E 5330/1982/1; 1944/167/58, Dok. 87) unterschrieb er mit "Roessler", d.h. mit "oe" und mit zwei "s", also nicht mit einem scharfen „ß“, desgleichen am 18. März 1953, anlässlich einer zweiten Verhaftung (E 4320 (B); 1973/17; Bd. 28; C.2.9151; 18. März 1953, S. 4). Auch die in Berlin im Bühnenvolksbund erschienenen Schriften „Schauspiel 1928/29“, „Schauspiel 1929/30“ und „Schauspiel 1930/31“ trugen auf dem Titelblatt den Namen Rudolf Roessler.
 
Roessler und Luther: Vgl. die Aussage von Xaver Schnieper in der historischen Fernseh-Reportage "Dora an Direktor: der Angriff steht bevor" (Lutz Mahlerwein/ Adalbert Wiemer), ARD, 18. Juli 1989), Abschrift Beauftragte für Stasiunterlagen, BStU, Berlin, MfS-HA IX/11, FV 98/66, Bd. 190, Bl. 135 (S. 4): "Rein persönlich war er für mich der Typ des reinen, aufrechten Protestanten. Das scheint mir sehr, sehr kennzeichnend für ihn gewesen zu sein. Er war ein durch und durch sittlich motivierter Mensch. In dem Sinn fast, für uns Schweizer, fast zu deutsch, wenn ich das so sagen darf." – Was meinen Sie mit fast zu deutsch?" – "Eben im Sinn 'Hier steh' ich und kann nicht anders', im Sinn von Luther. Obwohl er ja ein restlos, also der Herkunft nach restlos ein Bayer war, väter- und mütterlicherseits, so ist er durch eine Art Preußentum geprägt, geistig geprägt. Er hat ja am Schluss, bevor er in die Schweiz kam, kängere Jahre in Berlin gelebt. ich glaube nicht, dass ihn das dort preußisch geprägt hat, aber er war, er hatte die preußische Strenge und Pflichterfüllung und sittliche Führung." – "Wie war er politisch geprägt?" – "Konservativ. Aber eer war ein restloser, hundertprozentiger Humanist. Und da gehört ja das Demokratieverständnis dazu."
 
Rudolf Roessler und "Form und Sinn": "Form und Sinn. Zeitschrift für Kunst und Geistesleben. Herausgegeben von der kulturellen Arbeitsgemeinschaft Augsburg" erschien in Augsburg ("Verlag Joh. Walch-Augsburg, Zeuggasse B 206"); die erste Nummer wurde am 1. Oktober 1925 veröffentlicht; sie erschien bis zur Nummer 5 (15. Dezember 1925) als "Halbmonatsschrift" immer am 1. und 15. jedes Monats, danach, ab Nr. 6 (15. Januar 1926) monatlich; Preis war "3 Mark vierteljährlich"; Nr. 1 bis 4 kosteten als "Einzelnummer: 60 Pfg.", die Nummern danach "Mark 1.20". Das vollständige Impressum lautete: "Verantwortliche Schriftleitung für den allgemeinen Teil: Rudolf Roeßler, für den Augsburger Teil Dr. F. Hilpert (Literatur), Dr. A. Hagen (Musik), Thomas Wechs (Architektur und bildende Kunst), sämtliche in Augsburg. Schriftleitung: Augsburg, Zeuggasse B 206. Druck und Verlag Joh. Walch, Augsburg." In Nr. 4 (15.12.1925) wird unter "Anschriften der Mitarbeiter dieses Heftes" auch die Adresse von Rudolf Roessler genannt: "Augsburg, Beethovenstraße 8". Auch Stefan Zweig veröffentlichte gelegentlich in "Form und Sinn", etwa in Heft 3 (2. Jg., 15. Dezember 1926) den Aufsatz "Die Monotonisierung der Welt" (S. 65-69). Roessler besprach in Nr. 14 (15. September 1926, S. 383) Stefan Zweigs Novellenband "Verwirrung der Gefühle". In Nr. 3 und 4 (1. und 15. November 1925) veröffentlichte Rudolf Roessler einen zweiteiligen Aufsatz mit dem Titel "Herkunft und Forderung. Ein Beitrag zur Frage und zum Sinn der Gestaltung"; in Nr. 6 (15. Januar 1926) einen Aufsatz mit dem Titel "Rettet das Wort!" und einen Kurzbeitrag betitelt "Zensur gegen Kultur" (zum Thema Zensur im faschistischen Italien); in Nr. 8 (15. März 1926) folgte der Aufsatz "Literatur und Architektur"; die Zeitschrift hatte auch eine Rubrik "Münchner Rundschau"; da veröffentlichte Roessler anlässlich eines Theaterskandals in München "Ende Februar") um das Lustspiel von Zuckmayer "Der fröhliche Weinberg" einen Beitrag unter dem Titel "Die maskierte Zensur"; Roessler endet mit den Worten: "Wir haben also in unserer Freiheit einen tüchtigen Schritt nach vorwärts gemacht: die Zensur wird nicht mehr von der Polizei, sondern von den Skandalmachern ausgeübt." (S. 192); in derselben Rubrik schrieb er in Nr. 9 (15. April 1926) den Beitrag "Falsche Rezepte"; einer der Kernsätze lautete: "Die Leugnung des Niedergangs im Münchner Kunstleben beschränkt sich jetzt auf die Herren Beamten im Ministerium für Unterricht und Kultus und die Lokalberichterstatter der Presse. Ihnen allein ist der Optimismus verblieben, der da von München als der deutschen Kunststadt zu reden gestattet." In Nr. 10 (15. Mai 1926) veröffentlichte Roessler den Aufsatz "Synthese ohne Vollendung" und in der Rubrik "Münchner Rundschau" den Beitrag "Kultur-Illusionen" mit dem bemerkenswerten Satz "Dass man im Mangel an Geld die Ursache des Verfalls der Kunst- und Kulturstadt München erblickt, ist der tiefere Grund der Krise. Dass Leute, die keine Gelegenheit unbenützt lassen, der materialistischen Weltanschauung ihren Abscheu auszusprechen, gerade in geistigen Dingen das Geld zur Voraussetzung der hohen Leistung erklären, ist in Wahrheit das Verhängnis ihres Handelns und ihrer Herrschaft. Und dass auch jetzt, angesichts der kläglichen Bilanz der letzten Jahre, das offizielle München noch immer nicht den Mut zum freimütigen Eingeständnis seiner schweren Fehler findet, lässt für die nächste Zukunft eine Besserung der traurigen Verhältnisse kaum erwarten." In Nr. 12 (15. Juli 1926) folgte der Aufsatz "Das Glaubensbekenntnis der Dichter"; in Nr. 13 (15. August 1926) besprach er in sehr identifikatorischer Weise das Werk des inzwischen vergessenen Basler Philosophen Paul Häberlin "Das Gute"; für eine Biografie Roesslers enthält dieser kurze Beitrag aufschlussreiches Material. In Heft 2 des 2. Jahrgangs (15. November 1926) folgte ein Kurzbeitrag unter dem Titel "Organische Stadtgestaltung"; in Heft 3 (2. Jg.; 15. Dezember 1926) in der Rubrik "Münchner Rundschau" erschien der Beitrag "Die Kunststadt" mit dem einleitenden Satz: "Endlich hat die geistige Oede, der seit Jahr und Tag München immer mehr zu verfallen droht, auch führende Persönlichkeiten des geistigen und künstlerischen Lebens zu einer warndenden Kundgebung veranlasst: Thomas Mann, Heinrich Mann, Leo Weismantel, Willi Geiger, Walter Courvoiser und Paul Renner haben sich in einer öffentlichen Versammlung mit aller Entschiedenheit gegen die offizielle Begünstigung der Mittelmäßigkeit, der Anmaßung und der Bequemlichkeit gewandt und mit erfreulicher Offenheit die Notwendigkeit eines grundsätzlichen Gesinnungswandels vertreten." Wiederum: Im Hinblick auf eine Biografie Roesslers wäre es interessant, die von Roessler und anderen konstatierte kulturelle Krise Münchens vor dem Hintergrund der Diskussion um München als "Hauptstadt der Bewegung" – Hitler verlieh der Stadt München diesen Beinamen am 2. August 1935 (Max Domarus. Hitler. Reden und Proklamationen, Band 1, Würzburg 1962, S. 519) – zu diskutieren; Augsburg eignete sich offenbar ausgezeichnet als Beobachtungsposten; in diesem Zusammenhang dürfte dann auch der Fall des Augsburgers Bertolt Brecht nicht fehlen; Brecht war zweieinhalb Jahre jünger als Roessler (Roessler wurde am 22. November 1897 in Kaufbeuren geboren; Volksschule und Gymnasium absolvierte er in Augsburg); sie könnten sich also im Gymnasium von Augsburg und später vielleicht kennengelernt, zumindest gesehen haben. Wichtig für Roessler war offenbar Leo Weismantel, der Mitglied des Bayrischen Landtags war; Roessler besprach in Heft 4 (2. Jg.; 15. Januar 1927, S. 119f) unter dem Titel "Dokumente der Zeit" Weismantels Band "Bayern und die Wende der Bildung", eine Sammlung von Weismantel-Reden mit den darauf erfolgten Gegenreden seiner Gegner. Kurzbeiträge und Kurzbesprechungen von Büchern steuerte Roessler zu jeder Nummer bei; vermutlich sind auch die in schärferem Ton gehaltenen Kurzbeiträge unter dem Pseudonym "Delta" von ihm (dieses Pseudonym verwendete er in der Nachkriegszeit erneut). Ironie des Schicksals, angesichts seines späteren Exils – in der Nr. 1 vom 1. Oktober 1925 schrieb Rudolf Roessler unter dem Titel "Die Schweizer Stadt" eine Kurzbesprechung zu einem gleichnamigen Band von Joseph Gantner (Piper Verlag, München).
 
Zum Schicksal des Bühnenvolksbunds: Bundesarchiv Berlin, R 56 I/63 (Akten der Reichskulturkammer/Zentrale zum Bühnenvolksbund); da vorr allem die dreiseitige „Strafanzeige“ vom 27. Mai 1933 gegen Dr. Thias Brünker und Rudolf Rössler, „Geschäftsführer des ‚Bühnenvolsbund ev.V.’ und der ‚Bühnenvolksbund-Verlag G.m.b.H.’, beide zu Berlin SW. 11, Anhalterstr. 9, wegen Unterschlagung, Betruges, Bilanzvergehens, Konkursvergehens und handelsrechtlicher Untreue“ – ein in krasser Weise konstruierter Vorwurf – sowie der dreiseitige „Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens“ gegen den „Bühnenvolksbund e.V.“ vom 29.5.1933; als Gegenspieler von Dr. Thias Brünker und Rudolf Roessler trat vor allem der damalige „Staatskommissar z.b.V. [Hans] Hinkel“ auf. Vgl. die theaterwissenschaftliche Magisterarbeit von Gregor Kannberg, Der Bühnenvolksbund. Aufbau und Krise des Christlich-Deutschen Bühnenvolksbundes 1919 – 1933, Köln 1997; vgl. auch Henning Rischbieter, Theater im 'Dritten Reich', Seelze-Velber 2000, S. 29f. - Rudolf Roessler erklärte in einem Vorverhör vom 9. Mai 1953 in Luzern (Schweizerisches Bundesarchiv, E 4320 (B); 1973/17, Bd. 28; C.2.9151; S. 3) auf die Frage "Wie kamen Sie seinerzeit in den Nachrichtendienst?": "Dr. Schnieper lernte, glaube ich, im Sommer 1939 Hauptmann Hausamann kennen. Er erzählte ihm von Dr. Wallner, der damals in Wien lebte, und Hausamann trat mit diesem in Verbindung. Wallner war dann kurze Zeit für Hausamann in Bozen tätig. Nachher kam er auf Veranlassung Hausamanns in die Schweiz und nahm hier Wohnung bei Dr. Schnieper. Kurz vor Kriegsausbruch frugen mich dann Dr. Schnieper und Dr. Wallner, ob ich ebenfalls bereit wäre, Hausamann Informationen aus Deutschland zu verschaffen. Anlässlich der Landesausstellung kam ich dann in Zürich mit zwei deutschen Freunden, die auf meine Veranlassung dorthin kamen, zusammen. In der Folge lieferte ich fortgesetzt Berichte und zwar übergab ich sie Hausamann nicht direkt, sondern zu seinen Handen an Dr. Wallner."
 
Rudolf Roessler gab am 27. Mai 1944 gegenüber der Schweizerischen Bundesanwaltschaft zu Protokoll (Schweizerisches Bundesarchiv, E 5330/1982/1; 1944/167/58, Dok. 87, S. 2): "Im Sommer 1939 tauchte dann hier in Luzern plötzlich der Wallner auf. Durch Dr. Schnieper lernte ich ihn kennen, er hatte damals, es war einige Monate vor Kriegsausbruch, schon Beziehungen zu Hauptmnn Hausamann. Durch Dr. Wallner erfuhr ich dann zu dieser Zeit, dass er im Auftrage von Hausamann zeitweise iin Südtirol war (3 Monate lang und zwar noch vor Kriegsausbruch). Ich wusste nicht nur bereits was Hausamann war und was er machte, inhaltlich vernahm ich von Dr. Wallner allerdings nichts."
Xaver Schnieper erklärte neun Jahre später (zur Zeit des Kalten Krieges, im Rahmen des Verfahrens gegen ihn und Roessler wegen unerlaubten Nachrichtendienstes zugunsten der Tschechoslowakei; vgl. dazu Peter Kamber: "Spionage, die keine war: Der Kalte Krieg und die Strafsache Rössler/Schnieper", in: Basler Magazin, der Wochenendbeilage der "Basler Zeitung"Nr. 26, 2. Juli 1994, S. 6/7): "Ich und meine Frau haben in Wien mit dem Wiener Dr. Franz Wallner studiert. Er beendete im Herbst 1938 seine Studien und war nachher etwa zwei bis drei Wochen bei uns in Luzern auf Besuch. Wir stimmten gesinnungsmäßig in der Gegnerschaft gegenüber dem Nationalsozialismus überein. An Ostern 1939 lernte ich in meinem Hotel in Lugano Hptm. Hausamann aus Teufen kennen und erfuhr nun, dass er für den schweizerischen Nachrichtendienst tätig sei [Anm. P.K.: In der Verhandlung vor Bundesstrafgericht am 2. November 1953 (E 4320 (B); 1973/17; Bd. 28; C.2.9151; S. 4) erklärte Schnieper davon abweichend oder ergänzend, wenn es sich dabei um die allererste Begegnung gehandelt hatte: "Ich lernte Major Hausamann im Herbst oder Winter 1938/39 im Bureau von Nationalrat Oprecht kennen. Er hat mir die Auffassung eines Offiziers dargelegt; seine Ausführungen haben sich mit meiner Überzeugung zu meinem Erstaunen gedeckt."]. Ich vermutete, Dr. Wallner, der damals in Wien noch ohne Stellung war, könnte ihm [Anm. P.K.: d.h. Hausamann] für seinen Dienst nützlich sein und gab ich deshalb über ihn nähere Aufschlüsse. Kurze Zeit nachher suchte Hausamann Dr. Wallner in Wien auf. Sehr bald, anfangs Sommer 1939, kam Dr. Wallner auf Verlanlassung Hausamanns in die Schweiz und wohnte bei mir in Luzern. Er war für Hauptmann Hausamann tätig, ohne dass ich aber über Details orientiert wurde [Anm. P.K.: Mit Sicherheit eine Schutzbehauptung Schniepers]. Als die internationale Lage im Sommer 1939 gespannter wurde, hielt sich Hptm. Hausamann in Herstenstein [?] auf, und ich bin dort in jener Zeit wiederholt mit ihm zusammengetroffen.1933 hatte ich in Berlin Rudolf Rössler kennen gelernt und war dann eine der Hauptsursache[n], dass er 1934 in die Schweiz kam. Von 1936 an, als ich nach Beendigung meiner studien wieder nach Luzern zurückkehrte, fing ich an, mit cih Rössler enger zu befreunden. Ich wusste, dass Rössler im ersten Weltkrieg Offizier gewesen war, und dass er in Deutschland gute Beziehungen hatte, und als mir Hptm. Hausamann die Wichtigkeit eines guten Nachrichtendienstes für die Schweiz darlegte, bewog ich Rössler für Hausamann tätig zu sein. Rössler erklärte sich einverstanden und ich habe seine ersten Informationen selbst Hausamann überbracht. Ich glaube, dass Rössler und Hausamann selbst nie zusammengekommen sind. In der Folge, d.h. vom August 1939 bis zum Kriegsende funktionierte dann Dr. Wallner als Bindeglied zwischen Rössler und Hausamann. Dr. Wallner wohnte während dieser ganzen Zeit bei uns." (Schweizerisches Bundesarchiv, E 4320 (B) 1973/17, Bd. 28; C.2.9151, Einvernahme von Xaver Schnieper, 7. Mai 1953, 13.30 Uhr, S. 1/2) - Letzter Punkt wird auch durch die beim "Einwohnerdienst der Stadt Luzern" gespeicherten Daten bestätigt (schriftliche Auskunft 29. März 2001): Dr. Franz Wallner (geb. 19.9.1910, österreichischer Staatsbürger), "Zuzug am 20.02.1939 von Wien: Familie Schnieper, Museggstraße 44, 6004; Abmeldung am 27.3.1939 nach Wien; Zuzug am 08.07.1939 von Teufen AR [Wohnsitz von Hausamann]: Familie Schnieper, Rebhalde 3, 6004 Luzern; Umzug am 12.03.1942 nach Familie Schnieper, Löwenstraße 8, 6004 Luzern." - Arnold Stöckli erklärte präzisierend in einem Verhör vom 10. März 1953 (Schweizerisches Bundesarchiv, E 4320 (B); 1973/17; B.d 28, S. 4): "Im Sommer 1939 macht Schnieper die Bekanntschaft des Hauptmann Hausamann, Teufen, Schnieper empfahl Hausamann seinen Freund Dr. Wallner Franz, der damals in Wien wohnhaft war, für den Nachrichtendienst. Dr. Wallner wurde von Hausamann zunächst im Tirol, glaublich zur Feststellung des Verkehrs auf der Brennerlinie und Einquartierungen von Truppen im Südtirol. Später kam Wallner in die Schweiz und war in Luzern wohnhaft."
 
(Zu weiteren Materialien: gezielte Suche möglich in der Datei „Anmerkungen“)
Der Text des Romans liegt inzwischen als Hörbuch vor, gelesen  von Marianne Weber für die Schweizerische Bibliothek für Blinde,  Seh- und Lesebehinderte, Zürich; Hördauer 4282 Minuten.
Katalogtext: Der Schweizer Historiker zeichnet ein gross angelegtes Panorama der Geheimdienstaktivitäten in und um Deutschland während der Naziherrschaft. Die Engländerin Elisabeth Wiskemann und der in der Schweiz wohnhafte ausgebürgerte Deutsche Rudolf Roessler werden aus antifaschistischer Überzeugung zu Geheimagenten. In der Lebensgeschichte dieser realen Personen verknüpfen sich die Aktivitäten der alliierten Nachrichtendienste mit denen der nazideutschen Gegenspionage. Nach achtjähriger Quellenforschung deckt der Autor in diesem dichten, anspruchsvollen und sehr umfangreichen Roman zahlreiche unbekannte Zusammenhänge auf.

Hier außerdem eine PDF-Datei mit den Anmerkungen des Autors zum Roman, fortlaufend, nach Kapiteln geordnet:
 
(Die Datei umfasst mehr als 1000 Seiten)

Die Webseite mit der Datei der Anmerkungen zum Buch soll für Transparenz sorgen. Grundsatz war: Personen und Ereignisse authentisch; „Erfindung“ oder Fiktion nur dort, wo die Quellen schweigen oder sich widersprechen, und dies strikt im Rahmen des Plausiblen. So gesehen hat der Roman – erkenntnistheoretisch gesprochen – den Status eines komplexen Hypothesenmodells, denn rein historiografisch sind zahlreiche der im Roman aufgeworfenen Fragen nach der derzeitigen Quellenlage nicht zu beantworten, wie es im Fachjargon so schön heißt (z.B. bei Michael Früchtel, Der Architekt Hermann Giesler. Leben und Werk, München 2008, S. 278). Ob Literatur dazu berechtigt sei, sich auch da, wo es „eigentlich“ nicht geht, ein Bild der Vergangenheit zu machen, hängt auch davon ab, wie offen für Kritik – oder eben: wie transparent – das Vorgehen dabei ist. Der historische Roman – oder der Geschichtsroman – verdankt seine Existenz als Genre letztlich einem nahezu unüberwindlichen Darstellungsproblem der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung. Jene erfolgt nämlich zumeist in Form von Einzelstudien oder geht auch in den großen Überblickswerken nach Kapiteln oder Teilen gegliedert Einzelfragen nach, die allzu häufig nur abstrakt zusammengedacht werden. Einzig Biografien vermögen – aus der Optik der dargestellten Person – annäherungsweise eine zusammenhängende Weltsicht zu entwerfen, durch die Augen der Figuren, Welt verstanden als „Wirklichkeit“, wie sie von den Figuren wahrgenommen wurde. Dieser Roman ist der Versuch, für drei Hauptfiguren und über dreißig Nebenfiguren für die Jahre 1939 bis 1945 das Projekt einer Kollektivbiografie zu wagen. Als Sachbuch würde sich ein solches Unterfangen wegen der Komplexität der einzelnen Lebenszusammenhänge zur Unleserlichkeit verdammen. Der Roman kann zumindest den Versuch wagen, ein solches Zeitbild zu entwerfen. Die Grenzen des Genres des historischen Romans zu erweitern war die Herausforderung. Die Rolle des Autors umfasst dabei, im vorliegenden Fall, die eines Rechercheurs, Interviewers, Interpreten, „Schauspielers“ und „Regisseurs“. Das verstehe ich so: Beim Schreiben „spiele“ ich die Figuren, ähnlich wie ein Schauspieler oder eine Schauspielerin auf der Bühne oder im Film einen Charakter zur Darstellung bringen würde, wenn er oder sie bei diesem Vorgang zugleich die Regie innehätte. Der Roman kann ohne Rücksicht auf die im Theater und im Film anfallenden Kosten die komplexesten „Wirklichkeiten“ mit Worten entwerfen und – vor den Augen der Leserinnen und Leser – bildlich werden lassen. Diese Chance wollte ich bei diesem ernstesten Thema des 20. Jahrhunderts nutzen. (Komplexität zu durchdenken ist die Herausforderung der Zeit.)

Peter Kamber, Berlin, 18. Oktober 2008/26. Februar 2010